von Christian Mehnert
Weihnachten ist jedes Jahr auf’s neue eine besondere Zeit, der ein „Zauber“ innewohnt. Aber was ist es, was die Weihnachtszeit so besonders macht? Ist es die Jahreszeit, in der es früh dunkel wird und in der zum Teil von unglaublichen Lichtinstallationen von dezent bis zum Modell „Rummelplatz 4.0“ alle Abstufungen zu finden sind? Sind es die Weihnachtsmärkte und die geschmückten Geschäfte und Einkaufszentren? Sind es die alten Lieder und Geschichten?
All das spielt sicher mit hinein doch vieles davon ist eben in diesem Jahr nicht möglich. Wir sind gezwungen, uns auf das nötigste zu beschränken. Gerade heute haben wir erfahren, dass noch vor Weihnachten alles nicht wirklich Notwendige „heruntergefahren“ wird.
Wir beginnen uns zu Fragen, was denn das „wirklich Notwendige“ ist. Und jeder wird diese Frage etwas anders beantworten.
Ebenso dürfte es mit der Weihnachtsgeschichte aussehen. Was ist denn das Elementare an der Weihnachtsgeschichte?
Keiner von uns hat das Geschehen von damals live miterlebt. Und selbst die, die es damals gesehen haben, haben es aus ihrer Perspektive und in ihrer Lebenswirklichkeit erlebt. Eines dürften sie aber alle gleichermaßen so gesehen haben: Die Geschichte, die damals in Nazareth und in Bethlehem ihren Anfang nahm, ist schier unglaublich.
Da ist zunächst mal Maria, die Verlobte von Joseph, einem Zimmermann aus Nazareth. Ihr erscheint ein Engel. Nicht irgendein Engel, sondern einer der Erzengel. Gabriel, ein Bote Gottes, der Maria die Geburt Jesu ankündigt. Eine für sie unglaubliche Ankündigung. Sie erschrickt schon über das Erscheinen des Engels (wer würde das nicht), wundert sich über die seltsame Begrüßung („Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit Dir!“) und die Nachricht, die der Engel für sie hat, schlägt dem Fass den Boden aus: „Du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben“ (Lukas 1, 31). Es dürfte uns nicht schwerfallen, nachzuvollziehen, dass sie Zweifel hat und berechtigterweise darauf hinweist, dass sie ohne „von einem Mann zu wissen“ nicht schwanger werden kann. Klärt sie den Engel Gabriel auf? Das ist schließlich nicht möglich, nach allem, was sie über das Schwangerwerden weiß und was logisch wäre. Der Engel nimmt sie ernst und erklärt ihr, wie es geschehen soll.
Am Ende nimmt sie die unglaubliche Botschaft an. Aber warum?
Maria lebt in der Jüdischen Tradition und kennt die Geschichten des alten Testaments, in denen von unglaublichen Dingen und Wundern berichtet wird. Doch darauf nimmt der Engel gar nicht Bezug, sondern er weist sie auf Gottes Wirken in ihrer unmittelbaren Umgebung hin. Elisabeth, eine Verwandte Marias, war mit Ihrem Mann, dem Priester Zacharias, lange kinderlos geblieben. Sie galt als unfruchtbar und beide, Elisabeth und Zacharias, waren auch nicht mehr die Jüngsten. Der Engel berichtet Maria, dass auch diese unfruchtbare Frau schwanger sei. Er war ihrem Mann „auf der Arbeit“, also im Tempel, erschienen und hat ihm Elisabeths Schwangerschaft angekündigt. Auch der erschrak natürlich und auch ihm rief der Engel zu „Fürchte dich nicht, denn dein Gebet ist erhört worden“.
Maria macht sich auf den Weg, um Elisabeth zu besuchen. Warum bricht Maria auf? Vielleicht, um zu prüfen, ob das, was der Engel ihr gesagt hat, wirklich wahr ist? Ich glaube, dass das ein Grund gewesen sein dürfte. Und das ist auch mehr als verständlich. Beide, Maria und Elisabeth hatten etwas erlebt, was unglaublich war. Sie hatten Zweifel und haben sich vergewissern wollen.
Einige Zeit später brachte Maria ihren Sohn in Bethlehem zur Welt. In Bethlehem nicht, weil es dort eine besonders schöne Geburtsklinik befand und sie es sich ausgesucht hatten, dort zu gebären, sondern wegen einer Verordnung, einer Anordnung des Kaisers.
In dieser Gegend waren an diesem Abend Hirten auf dem Feld, die ihre Herde beschützten. Auch ihnen begegnet der Engel und auch sie erschraken und auch ihnen ruft der Engel zu … na, dreimal dürfen wir raten … genau: „Fürchtet euch nicht!“.
Der Engel verkündet ihnen die Geburt „ihres Heilands“. Auch die Hirten waren verstört, verängstigt. Auch von ihnen hatte noch niemand einen Engel gesehen. Und es blieb ja nicht bei nur dem Einen sondern die Bibel berichtet von „Heerscharen“ von Engeln und von hellem Licht und vom Gesang der Engel. Als das „Spektakel“ vorüber war und sie wieder einen klaren Gedanken fassen konnten, gingen die Hirten nicht zum Tagesgeschäft über. Das, was sie gerade erlebt hatten, war unglaublich und sie wollten sich davon überzeugen, dass das tatsächlich so stattgefunden hat. Sie machten sich auf den Weg nach Bethlehem und fanden alles so, wie es ihnen berichtet wurde. Sie waren so überwältigt von dem, was sie erlebt hatten, dass sie auf ihrem weiteren Weg jedem davon erzählten. Sie waren die ersten Pastoren der christlichen Kirche, könnte man sagen (lat. Pastor = Hirte). Pastoren, die im Übrigen schon damals ein Problem hatten, was wir auch heute kennen. Nämlich alle, denen sie davon erzählten, die es aber nicht selbst miterlebt hatten, waren sehr verwundert und hatten so ihre Schwierigkeiten zu glauben, was ihnen die Hirten erzählten. (Lukas 2, 18)
Es gibt noch eine weitere Geschichte im Leben Jesu, oder wohl besser „danach“, die ich noch aufgreifen möchte. Nach der Kreuzigung, dem Tod und der Auferstehung Jesu (schon wieder so eine unglaubliche Geschichte), erscheint Jesus seinen Jüngern, die sich in ihrer Angst und Verzweiflung verbarrikadiert hatten und nicht wussten, wie es weitergehen soll.
Bei dieser Begegnung fehlte aber neben Judas auch noch ein weiterer Jünger. Thomas, der unfairerweise heutzutage häufig der „ungläubige Thomas“ genannt wird. Thomas konnte den Erzählungen seiner Freunde nicht glauben. Er hatte gesehen, wie Jesus gefangen genommen wurde, verurteilt und hingerichtet. Er hat gesehen, wie er begraben wurde. Genau, wie alle anderen Jünger das auch gesehen haben. Und genauso wie der „ungläubige Thomas“ hatten alle anderen Jünger zuerst Angst und zugleich Zweifel. Jesus musste ihnen erst beweisen, dass er es wirklich ist, indem er ihnen seine Wunden der Folter und der Hinrichtung zeigt. „Ich bin es wirklich. Hier, fasst mich an und überzeugt euch selbst“. (Lukas 24,38-39)
Und obwohl sie gläubige Männer waren, die regelmäßig in die Synagoge gingen und die Bücher der Propheten kannten, musste Jesus sie erst daran erinnern, dass die ganze Geschichte, die sie so verstört hatte, genau so geschehen musste. Ihre ganze theologische Ausbildung hatte ihnen in dieser existenziell herausfordernden Situation nichts genutzt.
Er sagte: „Es steht doch dort geschrieben. Der von Gott erwählte Retter muss leiden und sterben, und er wird am dritten Tag von den Toten auferstehen.“ (Lukas 24,46)
Das alles hatte Thomas nicht miterlebt und er wollte nicht seinen Brüdern glauben, wenn er es nicht selbst sehen würde. Jesus gewährt ihm das. Er nimmt seine Fragen ernst, begegnet ihm persönlich und nimmt ihm seine Zweifel.
Haben Sie auch Zweifel an den Berichten aus der Bibel? Ist das zu unglaublich oder widerspricht gar Ihrer Lebenswirklichkeit oder neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen? Das kann ich verstehen und auch Gott versteht das. Wir leben in einer Zeit und in einer Welt, die für uns voller Widersprüche steckt. Wenn wir auf die Geschichte blicken, und vielleicht besonders auf die Geschichte der Kirchen in dieser Welt, dann kommen uns Zweifel und es fehlt nicht an Argumenten, die Kirchen und „ihre Leute“ in Frage zu stellen.
Ich möchte Sie aber ermutigen, es Maria, den Hirten oder Thomas gleich zu tun. Machen Sie sich auf den Weg. Lassen Sie sich auf die unglaublichen Geschichten ein und unterziehen Sie sie einer „Lebensprüfung“.
Prüfen Sie nicht die Kirche oder die Menschen. Die haben Fehler gemacht und machen auch heute Fehler. Prüfen Sie Gott.
Als Christen glauben wir an Gott, der uns bis ins letzte Detail kennt. Und so kennt er auch unsere Vorbehalte, unsere Nöte, unsere Zweifel, von denen übrigens auch ein langjähriger Christ genauso wenig frei ist, wie jemand, der Gott vielleicht noch gar nicht kennt. Und in diesen Tagen, in denen wir mit Hadern und Zweifeln das Geschehen in dieser Welt beobachten, wir uns fragen: „Gott wo bist du?“, da nimmt Er uns ernst, ruft uns zu „Fürchtet euch nicht!“ und lässt sich darauf ein, dass wir ihn prüfen und hinterfragen, wenn wir es ehrlich meinen. „Wenn ihr mich von ganzem Herzen sucht, dann will ich mich von euch finden lassen…“ (Jer. 29, 13-14).
Wenn Sie die hier erwähnten Begebenheiten nachlesen möchten, dann können Sie das im Lukas-Evangelium tun.
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete dritte Adventswoche.
Bleiben Sie gesund!
Gott befohlen!