von Christian Mehnert
Es ist etwas mehr als 20 Jahre her. In einem kleinen Dorf in der Börde findet, wie in jedem Jahr, der Weihnachtsgottesdienst statt. Die Kirche ist mehr als voll, eben wie in jedem Jahr zu Weihnachten. Die Kinder haben ein Krippenspiel eingeübt. Alle, nun ja, fast alle, haben ihren Text fleißig gelernt und waren regelmäßig zur Probe da. Und nun war es so weit. Heiliger Abend und das Krippenspiel wird aufgeführt.
Warum nur „fast alle“? Hatte da jemand seinen Text nicht drauf?
In der Tat. Den Engel Gabriel spielte eine Teenagerin, die leider häufig bei den Proben fehlte und auch zur Generalprobe nicht da war. Am Heiligen Abend aber tauchte sie auf und war der festen Überzeugung, dass sie ihre Rolle spielen könnte und beteuerte, dass sie den Text gelernt hätte. Es kam natürlich, wie es kommen musste. An fast keiner Stelle wusste der Engel Gabriel, wie es im Text weiterging und machte seinem Ärger darüber durch so manches Schimpfwort Luft, das die Aussagen des Engels in einer Art und Weise verdrehte, dass ich sie hier nicht wiedergeben möchte.
Das war aber nur der Anfang eines denkwürdigen Abends, der noch heute, mehr als zwei Jahrzehnte später, bei vielen Beteiligten und Anwesenden in lebhafter Erinnerung geblieben ist.
Die Geburt Jesu sollte dadurch symbolisiert werden, dass in der Krippe eine Kerze entzündet wurde. Das war natürlich die Aufgabe von Maria, die als Teil ihres Kostüms ein Kopftuch gewählt hatte, das mit glänzenden Synthetikfäden durchwebt war. Glänzend und eben auch sehr leicht entflammbar. Die Kerze war nun also entzündet und dummerweise geriet das Kopftuch für einen winzigen Moment in die Flamme. Mit einer kurzen, aber beeindruckenden Stichflamme verbrannten besagte Synthetikfasern. Das Kind in der Rolle von Maria erstarrte sogleich in Schock um gleich darauf bitterlich in Tränen auszubrechen, hatte es doch Angst vor Feuer und musste sich ohnehin schon überwinden, überhaupt die Kerze anzuzünden.
Ganz im Gegensatz dazu fand der Junge, der Josef spielte, diese Situation höchst amüsant und stand nun herzhaft lachend neben der wegen ihrer unfreiwilligen Pyroshow noch immer weinenden Maria.
Bis dahin etwas gelangweilte Jugendliche, die das Schauspiel von der Empore aus beobachtet hatten, beschlossen nun, dem offenbar mehr und mehr an unerwarteter Spannung gewinnenden Krippenspiel etwas mehr Aufmerksamkeit zu widmen und ihre „Gameboys“ (ja, Gameboys, wir sprechen über das Ende der 90er Jahre) beiseitezulegen.
Am Ausgang war später von dem einen oder anderen zu hören, dass es „das coolste Weihnachten ever“ gewesen sei.
Echt jetzt!? Das coolste Weihnachten, trotz oder gar wegen Pleiten Pech und Pannen?
Was entscheidet denn darüber, ob Weihnachten „cool“ oder „uncool“ ist? Das hängt sicher damit zusammen, was wir davon erwarten.
Da drängt sich doch die Frage auf, was können wir in diesem Jahr von Weihnachten erwarten? Wir leben in einer Zeit, in der auf unserem „von Frieden verwöhnten“ Kontinent ein neuer Krieg herrscht und nicht zuletzt eben auch dadurch die Kosten für das tägliche Leben überall derart in die Höhe geschossen sind, dass für nicht Wenige besondere Aufwendungen für z.B. Weihnachtsgeschenke beinahe oder tatsächlich unerschwinglich werden.
Nahezu unerträglich wird es, wenn sich ein Kriegstreiber dann auch noch hinstellt und sein Tun als gottgewollt und sein verschrobenes Weltbild mit aus dem Zusammenhang gerissenen Worten aus dem Mund Jesu untermauert.
Wir haben die Covid-Pandemie noch nicht hinter uns gelassen, da schlägt eine Welle von Grippe und besonders für kleinste Kinder ernsthafte Atemwegsinfekte über uns zusammen. Einige Eltern werden Weihnachten mit ihren um Luft ringenden Kindern im Krankenhaus verbringen müssen, zum Teil nicht einmal in der Nähe ihres zu Hauses, weil in der Klinik in der Heimat kein Bett mehr frei war.
Hat Weihnachten unter solchen Bedingungen denn überhaupt eine Chance, „cool“ zu werden? Was dürfen wir denn erwarten?
Ein wesentlicher Satz in der Weihnachtsgeschichte ist „Fürchtet euch nicht!“. Ausgerechnet die Hirten, einfache Menschen, die für die damaligen Viehbesitzer die Herden hüteten, sich selbst aber keine leisten konnten, obwohl sie härter als die Meisten für ihren Lebensunterhalt arbeiteten, sind die ersten, die von der Geburt des Retters erfahren sollten. Völlig unvorbereitet, in einem vielleicht vollkommen unpassenden Moment mitten in der Nacht sind sie wahrscheinlich überwältigt, möglicherweise überfordert von der Begegnung mit dem Engel, der ihnen erst zurufen musste: „Fürchtet euch nicht!“, bevor er ihnen die eigentliche frohe Botschaft überbringen konnte: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr in der Stadt Davids.“ Ich weiß nicht, ob die Hirten den Text kannten, auf den sich auch die Aussage des Engels bezieht. Beim Propheten Jesaja heißt es „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf das seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.“ (Jesaja 9,5-6)
Was für eine Nachricht! Und wie weit weg von dem, was wir gerade erleben müssen. Wir hoffen auf ein Wunder, wir wünschen uns diesen Helden, die Geborgenheit bei einem ewigen Vater und die Herrschaft eines Friedensfürsten. Wie gern würden wir Gott bitten, ein Machtwort zu sprechen und in der Welt wäre Recht und Gerechtigkeit bis in die Ewigkeit.
Doch Christus hat seinen Jüngern und damit auch uns sagen müssen, dass die Welt uns Angst machen wird. Das ist die bittere Realität.
Wir dürfen aber getrost sein, denn durch seine Geburt hinein in diese Welt, durch seinen eigenen Lebens- und Leidensweg durch diese Welt, der damit endet, dass er stirbt und wieder aufersteht, hat er die Angst der Welt überwunden. (Johannes 16,33)
Lassen Sie sich in das Dunkel dieser Zeit, in die Angst um die Zukunft, um unsere wirtschaftliche Sicherheit und um den Frieden in der Welt, in die Verzweiflung einer schweren Krankheit hinein die Hoffnung des zentralen Satzes von Weihnachten zurufen. Fürchtet euch nicht! Seid getrost. Euch ist heute der Heiland geboren.
Jesus sagt, als Einleitung zu seinem Versprechen, (dass er die Welt überwinden wird,) voraus, dass seine Jünger zerstreut werden, „ein jeder in das Seine“. Er sagt aber, dass es besonders in dieser vor ihnen liegenden schweren Zeit wichtig ist, dass sie durch Ihn und durch den Vater vereint sind. Das ist ihm so wichtig, dass er das in seinem letzten Gebet, unmittelbar vor seinem Tod noch einmal sagt: „Lass sie Eins sein, wie wir“ bittet er seinen Vater.
Lassen Sie uns in diesen schwierigen Zeiten aufeinander schauen, statt uns nur um uns selbst zu drehen und uns zerstreuen zu lassen. Es können die kleinen Dinge sein, die ein Jeder für den Anderen tun kann, die am Ende zu dem großen Frieden führen, den wir uns besonders an Weihnachten so sehr erhoffen.
Was dürfen wir von Weihnachten erwarten?
Ich wünsche uns den Mut, zu schweigen, wenn der Text ausgeht statt uns mit unüberlegten Worten über die Situation zu helfen.
Ich wünsche uns die Kraft, wieder aufzuschauen, die Tränen abzuwischen, wenn uns gerade die Flammen um die Ohren geschlagen sind.
Und ich wünsche uns den Humor, über Situationen zu lachen, die im ersten Moment als erschreckend wirken, aber im Nachhinein als gar nicht schlimm herausgestellt haben.
Ich wünsche uns, dass wir eine Stille Nacht erleben, in der wir uns auf das besinnen können, was Weihnachten wirklich bedeutet.
Christus, der ersehnte Friede-Fürst kommt, um die beängstigende Welt zu überwinden.
Ich wünsch uns Menschen, die für uns die kleinen Dinge tun, die für uns große Bedeutung bekommen können.
Und ich wünsche uns, dass wir den Blick für unseren Nächsten nicht verlieren, für den wir zum Helden werden können.
Dann ist Weihnachten das „coolste ever“.
Dann wird „seine Herrschaft (bei uns) groß und des Friedens kein Ende“.
Frohe Weihnachten.