Ostern ist nicht Weihnachten

von Mirjam Mehnert

Karfreitag ist ein stiller Tag.
Ein Tag, der uns keine Kerzen und kein beschauliches Kripplein mit Baby beschert, sondern einen gefolterten Mann am Kreuz, der den Verbrechertod stirbt. Karfreitag ist eben nicht Weihnachten. 

Und doch: egal, welche Faszination das Weihnachtswunder auf uns ausübt, ist das Geheimnis des Osterfestes ungleich größer. Es ist nicht die Geburt eines Babys, sondern neues Leben auf eine ganz andere Weise.

Da ist ein Gott, der sich selbst als „das Leben“ und „die Liebe“ vorstellt. Das Leben wirkt immer Leben. Die Menschen, die er ins Leben ruft, sind seinem Herzen ganz nah. Sie haben alles, was sie brauchen: Verbundenheit, Zugehörigkeit, Frieden, Nähe, Geborgenheit – weil sie mit Gott verwoben sind. Bis etwas schief geht. Bis die Neugier über das Vertrauen siegt. Bis sie sich bequatschen lassen, dass das, was sie haben, vielleicht doch nicht so toll ist und das Gras auf der anderen Seite grüner.

Gott sagt: „Esst nicht von diesem Baum, sonst müsst ihr sterben“, und ich habe das lange für Provokation gehalten. Lange habe ich darüber nachgedacht, und inzwischen denke ich: Es ist eine Liebesgeschichte, denn Gott wusste genau, was in diesem Baum für eine Gefahr lauerte. Doch der Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit Gottes zerstört die Beziehung, so wie der Zweifel an der Treue des einen auch heute noch Beziehung zerstört. 

Die sterblichen Menschen halten die Nähe eines vollkommenen Gottes nicht aus. Sie müssen sich voneinander trennen, Gott selbst trennt sie und bewahrt sie damit vor dem augenblicklichen Tod. Er gewährt ihnen eine Spanne Leben. Jedem von uns.

Seither leben Menschen aller Generationen in der Sehnsucht nach dem Schöpfer. Vielleicht geben wir der Sehnsucht andere Namen, aber im Grunde zieht es uns zu ihm. Glauben wir dem leeren Platz in uns, der sich nicht dauerhaft füllen lässt? Der wie ein Fass ohne Boden den Inhalt verliert, egal, was wir hineinfüllen? Manchmal gelingt es, das Loch eine Weile zu stopfen, indem wir uns beschäftigt halten, Dinge tun, die Spaß machen, einen guten Job oder ein funktionierendes Netzwerk haben, doch in unseren leisen Minuten merken wir: Es muss mehr geben. Das kann noch nicht alles gewesen sein. 

Da ist ein Gott, der Sehnsucht hat nach seinen Menschen und weiß, sie werden sterben in seiner Nähe, weil sie ihn nicht aushalten in ihrer Unvollkommenheit. Große Gefühle lassen sich schwer aushalten. 

Da ist ein Gott, der vor Sehnsucht stirbt. Der einen kostbaren Teil seiner selbst freiwillig in den Tod gibt, um erneut das Leben zu wirken. Er muss in den Tod, um den Tod zu besiegen. Er muss ins Dunkel, damit das Böse, das im Dunkel wohnt, vernichtet wird. Es wird verlieren, wenn es auch im Todeskampf viel Leid verursacht und möglichst viele mit sich in den Tod reißt. Es weiß, es hat nicht mehr viel Zeit. Es ist schon besiegt. 

Leben wirkt Leben, auch im Angesicht des Todes. Es ist ein Geheimnis, das wir nie ganz entschlüsseln werden, aber dem zu glauben unsere Sehnsucht nach Leben stillt.

Am Karfreitag halten inne vor dem Kreuz. Wer einmal richtig hingesehen hat, kann unmöglich wieder wegschauen. Es ist kein Zeichen des Todes, sondern ein Zeichen der Verbindung zwischen Himmel und Erde. Zwischen Gott und Mensch, die beide Sehnsucht nacheinander haben, auch wenn Letzterer das nicht immer weiß oder wahrhaben will. 

Das Kreuz ist die Brücke, auf der wir aus den Schatten ins Licht kommen. Kommst du mit hinüber?